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Leseprobe aus Wunschtochter:
Samstags morgens joggte Meg gewöhnlich die West Street entlang und ging anschließend zum Frühstück in einen Coffeeshop, dessen Tagesgerichte seit Jahren in zusehends blasser werdender Schrift angekündigt wurden. Dort las sie ihre New York Times und hörte beiläufig mit, wie ein paar altgediente Huren jugendliche Ausreißerinnen an ihrem Erfahrungsschatz teilhaben ließen. An diesem Samstagmorgen jedoch stand Meg in ihrer Küche und goss Milch in eine Schüssel mit Rice Krispies. Kimble lag noch im Bett, war aber wach und redete mit Roller Queen, ihrer Puppe, die außer ihren Rollerblades und den steifen orangefarbenen Locken nichts am Leib trug.
»Rice Krispies!« rief Meg. Sie hatte gemerkt, dass für ein Kind allein die Betonung von Worten die Wirklichkeit verändern konnte. Dinge wie Rice Krispies oder ein warmes Bad wurden zu einem sinnlichen Vergnügen, wenn man sie entsprechend ankündigte. Meg liebte das an Kimble und fragte sich gleichzeitig, wann dieser Zauber seine Wirkung verlieren würde.
Kimble tauchte hinter einem der Raumteiler in Megs Loft auf. Sie hielt Roller Queen an den Plastikblades.
»Na, wie würdest du das denn finden, wenn dich jemand an den Füßen herumträgt?
»Gut. »Wär mal was anderes, nicht? Magst du Rice Krispies?« Rice Krispies waren die einzigen Frühstücksflocken, die Meg im Haus hatte.
»Okay.« Kimble kletterte auf den hohen Hocker vor dem Küchentresen, an dem Meg ihre Mahlzeiten einnahm. Auf der Steinplatte stand eine rotbraun glasierte Obstschale, Megs allererste Töpferarbeit. Gefüllt mit Nektarinen und Bananen. »Kann ich ’ne Banane haben?«
»Natürlich.« Meg schälte eine Banane und schnippelte die Hälfte in Kimbles Schüssel. Die zweite Hälfte aß sie selbst, während Kimble wie gebannt zuguckte.
»Warum wohnst du ganz allein hier?«
»Findest du das komisch? Dein Daddy lebt doch auch allein.«
»Nein, mit mir!«
Meg legte zwei Finger an die Lippen und tat, als ob sie über eine außergewöhnlich feinsinnige Beobachtung nachdächte. In Wahrheit hatte das kleine Mädchen sie ertappt. Meg gehörte offenkundig zu den Leuten, die Kinder nicht als vollwertige Menschen betrachteten.